Hirnveränderungen unter der "Neutronenlupe"

Jülich / Garching, 23. Februar 2022 - Das Gehirn ist das Zentrum unseres Nervensystems – strukturelle Veränderungen sind oft an neurologischen Erkrankungen und psychischen Störungen beteiligt. Ein Team des Forschungszentrum Jülich hat jetzt am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ) eine neutronenbasierte Methode entwickelt, um Gehirnschnitte zu untersuchen und derartige Erkrankungen besser zu verstehen.

Das Gehirn lässt sich in sogenannte Graue Substanz und Weiße Substanz einteilen. Die Weiße Substanz enthält die Axone, die Reize weiterleiten. Zur schnelleren Reizweiterleitung sind die Axone von einer isolierenden Myelinschicht umwickelt, ähnlich einem Kabel, bei dem die Gummi-Isolierung dafür sorgt, dass keine Elektrizität auf dem Weg verloren geht.

Hirnveränderungen unter der "Neutronenlupe"
3D-Polarized Light Imaging Aufnahme eines Maus-Gehirns. Die strukturelle Information über die Ausrichtung der Nervenfasern aus dieser Aufnahme dienten als Vergleich für die neuen Neutronen-Messungen.
Axer, Amunts et al. / INM-1, Forschungszentrum Jülich

Verletzungen oder Verlust der Myelinhülle führen zu gestörten Gehirn- und Körperfunktionen. Bei Multipler Sklerose beispielsweise ist die isolierende Myelin-Schicht stark angegriffen. Die genauen Ursachen der Erkrankung sind jedoch noch immer unklar.

Wissenschaftler des Jülicher Instituts für Neurowissenschaften und Medizin und des Jülich Centre for Neutron Science (JCNS) haben an der vom Forschungszentrum betriebenen Kleinwinkelstreuanlage KWS-1 am MLZ eine neue bildgebende Methode entwickelt, um die Dichte, Struktur und räumliche Orientierung von Nervenfasern und Myelin abzubilden.

Neue Methode ergänzt bisherige Verfahren

„Die räumliche Orientierung von Nervenfasern in Gehirnschnitten kann schon länger mit Hilfe der Polarisationsmikroskopie (3D-PLI) bestimmt werden“, erklärt Dr. Heinrich Frielinghaus vom JCNS, Leiter der Gruppe KWS-1, „Die genaue Struktur und Ausrichtung des Myelins auf der molekularen Skala lässt sich mit Licht jedoch nicht erfassen.“ Mit Hilfe von Neutronen können die Forschenden nun erstmals beides bestimmen und mit der gemessenen Polarisation korrelieren.

Hirnveränderungen unter der "Neutronenlupe"
Schema des experimentellen Aufbaus an der Kleinwinkelstreuanlage. Der Neutronenstrahl trifft auf einen Gehirnschnitt („Sample“). Ein Detektor zeichnet die Streuung auf.
Forschungszentrum Jülich

Die Besonderheit an dieser neuen Methode: Sie erlaubt es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zu Nervenfasern gebündelten Axone gleichzeitig mit der isolierenden Myelinhülle abzubilden.

„Mit unserem neutronenbasierten Verfahren, können wir die Ergebnisse bisheriger Methoden bestätigen und zusätzliche Informationen liefern“, so Frielinghaus.

Anwendung in der Medizin

„Da wir mit Gehirnschnitten arbeiten, handelt es sich natürlich nicht um ein diagnostisches Verfahren“, erklärt Frielinghaus. Von ihrer neuen Methode erhoffen sich die Forschenden, in der Zukunft die Ursachen für neurologische Erkrankungen besser zu verstehen, indem sie strukturelle Veränderungen im Gehirn vollständiger sichtbar machen können.

Hirnveränderungen unter der "Neutronenlupe"
Dr. Heinrich Frielinghaus an der Kleinwinkelstreuanlage.
Andreas Heddergott/TUM

Noch liegt die Auflösung bei der neuen Methode im Millimeter-Bereich. Frielinghaus und seine Kolleginnen und Kollegen rechnen jedoch damit, dass zukünftig mikrometergenaue Messungen möglich sind. Damit können sie auch kleinste Strukturen in biologischen Geweben untersuchen.

(Veronika Aechter, FRMII / TUM)

Originalpublikation
S. Maiti, H. Frielinghaus, D. Gräßel, M. Dulle, M. Axer, S. Förster, Distribution and orientation
of nerve fibers and myelin assembly in a brain section retrieved by small‐angle neutron scattering, Sci Rep 11 (2021) DOI: 10.1038/s41598-021-92995-2

Weitere Informationen

Jülich Centre for Neutron Science

Heinz Maier-Leibnitz Zentrum

Institut für Neurowissenschaften und Medizin – INM-1, Arbeitsgruppe Faserbahnarchitektur

Ansprechpartner

Dr. Henrich Frielinghaus
Forschungszentrum Jülich
Jülich Centre for Neutron Science am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (JCNS-MLZ)
Tel.: +089 158860-706
E-Mail: h.frielinghaus@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 30.05.2022