"Science": Mechanische Kontrolle molekularer Spinzustände

IFF-Nachricht vom 11. Juni 2010

Forscher bestätigen Vorhersagen über den "underscreened Kondo-Effekt"

Moleküle sind die kleinsten denkbaren Bauteile elektronischer Schaltungen. Nanometer-kleine Moleküle sollen zukünftig dabei helfen, magnetische Speichermedien für die Informationstechnologie weiter zu verbessern oder neuartige Informationstechnologien, wie den Quantencomputer, zu realisieren. Physiker aus Jülich, den USA und Argentinien haben nun gezeigt, wie sich die magnetischen Eigenschaften solcher einzelnen Moleküle kontrolliert mechanisch manipulieren lassen. Ihr Modell-System kann zur präzisen Überprüfung physikalischer Theorien dienen, berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Science". Die Forscher bestätigten mit seiner Hilfe erstmals eindeutig theoretische Vorhersagen über den "underscreened Kondo-Effekt".

Der underscreened Kondo-Effekt entsteht durch die partielle Abschirmung des magnetischen Moments eines Atoms, Spin genannt, durch die Elektronen von nicht-magnetischen Metallatomen, die das Atom umgeben, und zeichnet sich durch eine ungewöhnliche elektrische Leitfähigkeit bei sehr tiefen Temperaturen aus: Im Gegensatz zum normalen Kondo-Effekt mit vollständiger Abschirmung sättigt die Leitfähigkeit bei sinkender Temperatur nur sehr viel langsamer.

Der underscreened Kondo-Effekt war 1980 erstmals vorhergesagt worden. In makroskopischen Proben zeigt sich von Natur aus allerdings stets nur der normale Kondo-Effekt. Erst die Entwicklung von Nanokontakten ermöglichte Forschern des Forschungszentrums Jülich und des Néel-Instituts in Grenoble, 2009 einen ersten experimentellen Hinweis auf den underscreened Kondo-Effektes zu finden. Dazu kontaktierten sie ein einzelnes C60-Molekül mit Goldelektroden. Auch wenn nur wenige Proben stabil waren: „Die Idee, dass Moleküle zwischen nanostrukturierten Kontakten ein ideales System darstellen müssten, um den underscreened Kondo-Effekt nachzuweisen, war ein wesentlicher Schritt", erläutert der Jülicher Physiker Dr. Theo Costi, der Teil des Teams war.

In einem neuen Experiment koppelten Wissenschaftler der Cornell-Universität in den USA jetzt für Ihre Experimente jeweils einen Molekülkomplex aus einem zentralen Kobaltatom – umgeben von organischen Liganden, die primär der Befestigung dienen – zwischen die atom-feinen Spitzen zweier Golddrähte. Die Moleküle dehnten sie mechanisch, veränderten damit Anordnung und Symmetrie der Atome, und maßen gleichzeitig die Leitfähigkeit. Aus den gewonnenen Daten konnten die Physiker der Cornell-Universität, der Kommission für Atomenergie CNEA in Argentinien und der Jülicher Dr. Theo Costi erstmals die charakteristischen Änderungen der Leitfähigkeit mit bestimmten Spinkonstellationen über einen großen Temperaturbereich in Einklang bringen und damit die theoretische Vorhersagen über den underscreened Kondo-Effekt eindeutig belegen. Costi erwartet, dass andere Gruppen rasch weitere experimentelle Nachweise des Effekts an magnetischen Molekülen oder Atomen finden werden. Zukünftig könne der underscreened Kondo-Effekt einmal für die Speicherung und Verarbeitung von Daten in der Informationstechnologie nützlich sein.

Kondo-Effekt
Physiker aus Jülich, den USA und Argentinien haben gezeigt, wie sich die magnetischen Eigenschaften einzelner Moleküle mechanisch kontrollieren lassen. Sie hoffen, dass solche Moleküle einmal die Speicherung und Verarbeitung von Daten in der Informationstechnologie verbessern werden. Science 11 June 2010, Vol. 328 (#5984).
Abbildung: Joshua Parks, Cornell University

Original-Veröffentlichungen:

Mechanical Control of Spin States in Spin-1 Molecules and the Underscreened Kondo Effect
J. J. Parks, A. R. Champagne, T. A. Costi, W. W. Shum, A. N. Pasupathy, E. Neuscamman, S. Flores-Torres, P. S. Cornaglia, A. A. Aligia, C. A. Balseiro, G. K.-L. Chan, H. D. Abruña, and D. C. Ralph
Science 11 June 2010, Vol. 328 (#5984)

Observation of the Underscreened Kondo Effect in a Molecular Transistor
N. Roch, S. Florens, T. A. Costi, W. Wernsdorfer and F. Balestro
Phys. Rev. Lett. 103, 197202 (2009)
Weitere Informationen:

IFF-3 "Theorie der Strukturbildung"
Arbeitsgruppe an der Cornell Universität
Arbeitsgruppe an der CNEA
Arbeitsgruppe am Institut Néel
Pressemitteilung der National Science Foundation, USA (auf Englisch)

Letzte Änderung: 15.03.2022