Wie sicher ist die Energieversorgung ohne russiches Erdgas?

(Copyright: IEK-3)

Daten, Fakten und Handlungsempfehlungen

Die europäische Energieversorgung ist in hohem Maße auf Energieimporte angewiesen. Dies gilt in besonderem Maße auch für Deutschland: Fast drei Viertel des deutschen Energieverbrauchs wird aktuell importiert. Insbesondere bei Erdgas ist die Importabhängigkeit mit einer Quote von ca. 94% besonders ausgeprägt. Mit einem Anteil von über 50% dominiert Russland die derzeitigen Erdgasimporte nach Deutschland.

Im Zuge des Ukraine-Kriegs wird ein Wegfall von russischen Erdgasimporten als Sanktionsmaßnahme für möglich gehalten bzw. diskutiert. In diesem Kontext stellen sich verschiedene Fragen: Ist es möglich, den Wegfall der russischen Erdgasimporte innerhalb von wenigen Tagen zu kompensieren? Welche Möglichkeiten bestehen in den nächsten Monaten, um das Erdgasangebot zu diversifizieren? Welche Rolle könnten zusätzliche LNG-Lieferungen spielen? Welche Bedeutung haben Erdgasspeicher, um mögliche Versorgungsengpässe zu überbrücken? Welche Energiever­sorgungsstrategie sollte Deutschland in den nächsten Jahren verfolgen?

Das Institut für Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK 3) am Forschungszentrum Jülich hat hierzu Analysen durchgeführt. Die daraus abgeleiteten Kernaussagen fokussieren im Wesentlichen auf Erdgas, für das die Importabhängigkeit von Russland besonders ausgeprägt ist und bei dem es sich um einen leitungsgebundenen Energieträger handelt. Gleichwohl gilt es aber auch, die russische Importabhängigkeit von Kohle und Erdöl zu reduzieren. Folgende Ergebnisse und Handlungsempfehlungen sind festzuhalten:

Kurzfristige Möglichkeiten mit Umsetzung in wenigen Tagen:

Etwa ein Drittel des nach Deutschland importierten Erdgases aus Russland lässt sich kurzfristig in den Sektoren Haushalte, GHD, Industrie und Stromerzeugung einsparen. Das Maßnahmenportfolio besteht aus Verhaltensänderungen (Haushalte) sowie aus einem Brennstoffwechsel bei der Stromerzeugung und im Industriesektor. Die Substitution von Strom aus Erdgas ist mit zusätzlichen CO2-Emissionen verbunden. Angesichts der prekären Versorgungslage und für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit sind die Mehremissionen in Kauf zu nehmen.

Mittelfristige Möglichkeiten mit Umsetzung in wenigen Monaten:

Deutschland verfügt über die größten Erdgasspeicherkapazitäten in Europa. Die Entwicklung der Speicherfüllstände der vergangenen Monate verdeutlicht, dass die derzeit gesetzten marktwirtschaftliche Anreize nicht ausreichen, um die vorhandenen Speicher für den Winter ausreichend zu bevorraten. Auch bei den Gasspeichern ist eine Abhängigkeit von Russland festzustellen: Etwa 20% der deutschen Speicherkapazität befinden sich in russischem Besitz. Diese Speicherkapazität wurde in den vergangenen Monaten nicht für eine Winterbevorratung eingesetzt. Ein marktwirtschaftlicher Grund ist hierfür nicht ersichtlich. Zukünftig ist eine staatlich geregelte strategische Gasbevorratung notwendig, die ausreichende Speicherfüllstände zu bestimmten Zeitpunkten garantiert. Das in Vorbereitung befindliche Gesetz zur Bevorratung von Gasspeichern­ wird hier Abhilfe schaffen.

Über 40% des EU-weiten Erdgasimports stammt aus Russland. Ein Großteil gelangt über deutsche Pipelines in die Mitgliedstaaten. Über 50% des deutschen Erdgasverbrauchs wird durch russische Gaslieferungen gedeckt. Eine Diversifizierung des Erdgasbezugs in wenigen Monaten ist im Wesentlichen nur mit zusätzlichen LNG-Importen (LNG: Liquified Natural Gas) zu erreichen. Einen deutschen Alleingang aus der russischen Importabhängigkeit gibt es nicht. Vielmehr bedarf es einer gesamteuropäischen Anstrengung und Strategie. Hierzu gehört die höhere Auslastung der bestehenden LNG Terminals, die in der Vergangenheit unterdurchschnittlich ausgelastet waren. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der LNG-Transport durch bestehende Pipeline-Engpässe (z.B. Spanien-Frankreich) limitiert ist und eine Weiterverteilung des regasifizierten Erdgases mitunter erschwert. Zukünftig ist eine EU-weite und konzertierte Beschaffungsstrategie für LNG mit langfristigen Kontrakten notwendig, die für eine Diversifizierung des Erdgasangebots sorgt.

Unsere Analysen verdeutlichen, dass ein Importstopp von russischem Erdgas in wenigen Monaten kompensiert werden kann und eine energetische Versorgung bis einschließlich des nächsten Winters garantiert werden kann. Notwendig ist jedoch eine Nachfragereduktion in Kombination mit der intensiveren Nutzung von LNG und Erdgasspeicherung auf europäischer Ebene.

Langfristige Möglichkeiten mit Umsetzung in wenigen Jahren:

Deutschland verfügt derzeit über keine LNG-Terminals. Für eine Diversifizierung des Gasbezugs ist jedoch der Bau von LNG Kapazitäten erforderlich. Die derzeit geplanten LNG Terminals weisen eine Kapazität von maximal 30 Mrd. m3 auf, was etwa ein Drittel des heutigen Erdgasbedarfs entspricht. Die geplanten Terminals sollten schnellstmöglich gebaut werden. Um die Wirtschaftlichkeit der Terminals auch langfristig zu gewährleisten, sollten diese zukunftsorientiert so konzipiert werden, dass sie auch für eine zukünftige Wasserstoffversorgung genutzt werden können.

Haushalte und Industrie sind sowohl EU-weit als auch in Deutschland die größten Gasverbraucher. Daher sollte die Durchführung von Energieeinsparmaßnahmen forciert werden. Des Weiteren ist der Austausch erdgasbasierter Heizungssysteme durch Wärmepumpen zu beschleunigen. Beide Maßnahmen bewirken eine signifikante Einsparung von Erdgas und ebnen den Weg für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung. Die Maßnahmen sollten durch entsprechende zusätzliche Förderprogramme angereizt werden, um eine schnelle Umsetzung zu erreichen.

Unsere Analysen zeigen, dass eine treibhausgasneutrale Energieversorgung bis zum Jahr 2045, die Importabhängigkeit von heute über 70% auf gut 20% bei deutlich sinkendem Energieverbrauch reduziert. Der Einsatz von Erdgas für die Energieversorgung besitzt keine Relevanz mehr. Der Ausbau der Erneuerbaren wie Wind and Land und auf See, Photovoltaik, Bioenergie sollte daher massiv vorangetrieben werden und ist neben dem Ergreifen energieeffizienter Maßnahmen die nachhaltigste Option, sich aus der Importabhängigkeit zu befreien.

Letzte Änderung: 02.06.2022